"Butterbrot - 1 Jahr Gefängnis"

Pressemitteilungen

25.11.2025

"Butterbrot - 1 Jahr Gefängnis"

Es waren bewegende Momente, als Sabine Heiders vom Schicksal ihrer Großmutter Veronika Höger erzählte. Von ihrer Menschlichkeit, weil sie und ihr Ehemann den zugewiesenen polnischen Zwangsarbeiter mit am Tisch essen und im Haus schlafen ließen. Von ihrer Angst, als sie von der Gestapo verhaftet und verhört wurde. Von den unmenschlichen Bedingungen im Konzentrationslager Ravensbrück, wo sie schließlich im Alter von nur 43 Jahren unter den unmenschlichen Bedingungen zu Tode kam. 

„Butterbrot – ein Jahr Gefängnis“: Unter diesem Titel richtet der Kreis Euskirchen den Blick auf ein bisher fast vergessenes Kapital aus der Zeit des Nationalsozialismus. Es geht um den verbotenen Umgang deutscher Frauen mit Zwangsarbeitern von 1939-1945. Dazu ist im Kreishaus bis zum 8. Januar 2026 eine Ausstellung zu sehen, die jetzt von Landrat Markus Ramers eröffnet wurde. Der Termin war bewusst auf den 25. November gelegt worden, den internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. „Dass es diesen Tag geben muss, ist traurig“, sagt Landrat Ramers. „Und noch alarmierender ist, dass die Zahlen nicht zurückgehen, sondern steigen. Mit der heutigen Ausstellungseröffnung wollen wir ein eindeutiges Zeichen gegen Gewalt an Frauen setzen – und zwar in einer historischen Perspektive.“ 

Anschließend führte Kreisarchivarin und Ausstellungskuratorin Heike Pütz in das Thema ein. Die neue Präsentation ist Teil der Wanderausstellung „Zwangsarbeit im Kreis Euskirchen“, die seit 2022 durch die Kommunen im Kreisgebiet tourt und inzwischen aus mehr als 80 Roll-Ups besteht. Im Mittelpunkt des neuen Teils steht das Schicksal deutscher Frauen, die wegen „verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern“ verurteilt wurden. Angeregt durch die Recherchen zur Geschichte von Veronika Höger aus Hellenthal-Eichen hat die Kreisarchivarin Heike Pütz inzwischen über 20 Fälle aus dem heutigen Kreis Euskirchen identifiziert.

Höhepunkt der Ausstellungseröffnung war der Vortrag von Sabine Heiders, der Enkelin von Veronika Höger. Unter dem Titel „Endlich hat das Schweigen ein Ende“ erzählte sie die Geschichte ihrer Großmutter – und zugleich die Geschichte eines jahrzehntelangen Verschweigens in der eigenen Familie.

Veronika Heinen wurde 1900 in Voißel geboren und wuchs dort auf. Nach ihrer Heirat zog sie mit ihrem Mann Josef Höger nach Eichen auf einen kleinen Bauernhof. Im August 1940 wurde der Familie – wie vielen Höfen im Kreis – ein polnischer Zwangsarbeiter zugeteilt. Entgegen den Vorschriften der sogenannten „Polen-Erlasse“ behandelte die Familie ihn nicht als Menschen zweiter Klasse: Er durfte mit am Tisch essen und im Haus schlafen. Als Veronika mit 41 Jahren ihre Tochter Martha zur Welt brachte, begannen jedoch Gerüchte im Dorf – der Zwangsarbeiter sei der Vater des Kindes.

Im Februar 1942 wurden Veronika Höger und der polnische Arbeiter denunziert und verhaftet. Das Baby war zu diesem Zeitpunkt gerade drei Monate alt. Über das Schicksal des Zwangsarbeiters ist nichts bekannt; Veronika kam zunächst in das Gefängnis in Aachen. In einem Brief an ihre Familie schrieb sie: „Ich bin körperlich sehr herunter gekommen, aber seelisch lasse ich mich anderen zum Trotz nicht unterkriegen. Wann kommt der schönste Tag meines Lebens, der Freiheitstag?“

Ohne Gerichtsverhandlung wurde Veronika Höger im November 1942 in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück deportiert. Dort musste sie unter unmenschlichen Bedingungen in der Schneiderei arbeiten. Im März 1943 erkrankte sie schwer und kam in den Krankenblock – dorthin, wo nicht mehr arbeitsfähige Frauen systematisch ausgesondert und ermordet wurden. Am 19. Mai 1943 starb Veronika Höger im Alter von 43 Jahren. Als offizielle Todesursache wurde „Lungenentzündung“ angegeben – eine Formulierung, die Historikerinnen und Historiker heute als verschleiernd und höchst zweifelhaft einstufen.

Für ihre Tochter Martha, die ihre Mutter nie kennenlernen konnte, und für die Enkelin Sabine Heiders blieb lange nur ein Loch in der Familiengeschichte. Erst in den vergangenen Jahren begann Heiders, die Spuren ihrer Großmutter zu suchen – in Archiven, Briefen und Zeugenaussagen. Diese Recherchen führten nicht nur zur Ausstellung im Kreishaus, sondern auch zur Verlegung eines Stolpersteins vor dem Elternhaus von Veronika Höger in Mechernich-Voißel im Mai 2025, an der rund 130 Menschen teilnahmen.

Sabine Heiders eindringlicher Appell: Ihre Großmutter sei für ihre Menschlichkeit verhaftet und letztlich umgebracht worden. „Es ist wichtig, nicht zu schweigen. Wichtig, die Vergangenheit nicht zu vergessen. Und wichtig, aufmerksam und wachsam in die Zukunft zu schauen. Nur wenn wir erinnern, können wir verhindern, dass sich ähnliches wiederholt.“

Ellen Mende, der „Frau des Jahres 2025“, war es vorbehalten, in ihrem Beitrag den Bogen zur Gegenwart zu spannen. Auch heute gehe es darum, jede Form von Gewalt gegen Frauen frühzeitig zu erkennen und ihr entschieden entgegenzutreten.

Die Ausstellung „Butterbrot – ein Jahr Gefängnis …“ ist bis zum 7. Januar 2026 im Foyer des Kreishauses Euskirchen, Jülicher Ring 32, zu sehen und kann während der Öffnungszeiten der Kreisverwaltung kostenfrei besucht werden. Die Präsentation richtet sich an interessierte Bürgerinnen und Bürger ebenso wie an Schulklassen und Gruppen. 

Hintergrund: Was bedeutet „Butterbrot – ein Jahr Gefängnis“?

Der Ausstellungstitel greift ein Zitat des Kölner Landgerichtspräsidenten Walter Müller aus der NS-Zeit auf: „Ein Butterbrot – ein Jahr Gefängnis, ein Kuss – zwei Jahre Gefängnis, Geschlechtsverkehr – Kopf ab.“ Mit diesen Worten forderte er besonders harte Strafen für Frauen, die Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern Zuneigung oder Hilfe zukommen ließen. Das Zitat steht exemplarisch für die brutale Logik eines Regimes, das menschliche Nähe kriminalisierte und Frauen für vermeintliche „Vergehen“ drakonisch verfolgte.